Die Entwicklung zu Handwerk 2.0

Erstveröffentlichung: 09.09.2020 08:56 |

Trotz voller Auftragsbücher erlebt das Handwerk zur Zeit eine Revolution. Verarbeiten reicht nicht mehr aus – Beratung und Verkauf werden langsam zum Standard.

Mann hält einen Kompass © ipopba / stock.adobe.com

Neben der Freude bringen die derzeit vollen Auftragsbücher im Handwerk auch eine Herausforderung mit sich. So sind nur jene Betriebe langfristig erfolgreich, die mit den Trends der Zeit gehen und ihren Kunden fortlaufend die besten Lösungen anbieten können. Die Erwartungen der Kundschaft reichen mittlerweile über die rein handwerkliche Arbeit hinaus: eine fachmännische Beratung, die Vorstellung innovativer Ideen im Rahmen der Nachhaltigkeit und Digitalisierung, ebenso wie der kundenorientierte Verkauf zählen mehr und mehr zu den Aufgaben eines jeden Handwerksbetriebs. Die Rede ist von einem sogenannten „Handwerk 2.0”. Mit diesem Wunsch kommt auf die Betriebe allerdings eine große Aufgabe zu, die die meisten gar nicht stemmen können. So fehlt es vielen selbst an Knowhow oder die Hersteller bieten nicht genug Innovationen, die die Handwerker an ihre Kunden weitergeben können.

Die Digitalisierung ist auch im Handwerk angekommen

Wohl eine der verbreitetsten Entwicklungen ist die Digitalisierung. In den vergangenen Jahren hat sich eine Reihe neuer Technologien und Techniken entwickelt, die in vielen verschiedenen Lebensbereichen für Veränderungen sorgen. Grundsätzlich werden durch die Digitalisierung einige Prozesse und Abläufe produktiver und auch effizienter gestaltet, wodurch sich zahlreiche neue Möglichkeiten, auch für Unternehmen, ergeben. Betriebe, die sich an diesen Wandel anpassen und die neuen Techniken zu ihrem Vorteil nutzen, können durch die Digitalisierung einen großen Sprung nach vorne machen. Andere wiederum, die diese Möglichkeit nicht nutzen, werden dadurch vor große Herausforderungen gestellt. Gleiches gilt also auch für Handwerksbetriebe. Es ist enorm wichtig, die Veränderungen in der Gesellschaft zu beobachten und sich auch an die geänderten Kundenbedürfnisse anzupassen. Neue Entwicklungen, wie beispielsweise Virtual Reality, können es ermöglichen, Kund:innen gezielter anzusprechen. Dadurch kann das Produkt oder die fertiggestellte Leistung virtuell illustriert und getestet werden. Gleichzeitig können die Betriebe die Technik für sich nutzen, um Prototypen zu entwickeln, wodurch sich der Herstellungsprozess vereinfachen wird. Es ist außerdem denkbar, dass 3D-Drucker in der Produktion eingesetzt werden, um Ersatzteile zu erzeugen, die die Kapazitäten eines Handwerksbetriebs erheblich erweitern würden. Die Digitalisierung umfasst viele Neuerungen, die den Produktionsprozess im Handwerk revolutionieren können. Verschiedene Werkzeuge können miteinander vernetzt werden, Daten können mithilfe künstlicher Intelligenz schneller erfasst und transferiert und so gesichert werden, dass die Betriebe vor schwerwiegenden Hacker-Angriffen geschützt sind. Durch die innovativen IT-Systeme können Handwerker:innen zum Beispiel Kundendaten auswerten und feststellen, wann neue Wartungen oder Reparaturen an ihren Geräten anstehen und diese schnellstmöglich umsetzen, um größere Schäden zu vermeiden. Die gesamte Steuerung der Prozesse wird dadurch automatisiert ablaufen und ermöglicht es, dass mehrere Maschinen oder Anlagen verknüpft werden und zusammenarbeiten können. Es ist also gut zu beobachten, wie sich die Digitalisierung auf jeden Bereich der Gesellschaft auswirken wird und wie man dies für sich nutzen kann, um den veränderten Kundenansprüchen gerecht zu werden.

Roboter – die Zukunft der Handwerksbetriebe?

Im Rahmen der Digitalisierung bleibt es nicht aus, auch über Entwicklungen nachzudenken, die erst in den nächsten Jahren von größerer Bedeutung werden könnten. Je früher man sich mit solchen Neuerungen beschäftigt, desto leichter wird es später sein, diese zu implementieren und sich daran anzupassen. Aus diesem Grund sind Roboter ebenfalls Teil des Wandels der Digitalisierung. Derzeit existieren im Handwerk erst wenige Unternehmen, die von der Technik Gebrauch machen und Roboter in ihren Arbeitsalltag integriert haben. Doch das könnte sich ändern. Unter diese Kategorien fallen nämlich auch bereits bekannte Hilfsmittel, wie Drohnen. Diese können im Handwerk eine erhebliche Entlastung darstellen, da sie Baustellen flexibel inspizieren oder kleine Arbeiten in der Höhe übernehmen können. Langfristig würden Arbeitsabläufe durch den Einsatz von Robotern auch automatisiert stattfinden. Es gibt beispielsweise Mauerroboter oder Sprühroboter, die für gezielte Tätigkeiten eingesetzt werden und nach einem programmierten Ablauf Teilaufgaben des Handwerks übernehmen. Trotzdem sind Mitarbeiter:innen nicht überflüssig. Ausgebildete Fachkräfte sind weiterhin notwendig, um den Prozess zu strukturieren, Kund:innen zu gewinnen und Handwerkstätigkeiten zu übernehmen, bei denen die Technik an ihre Grenzen kommt.

Nachhaltigkeit als Schlüssel zum Erfolg

Heutzutage spielt Nachhaltigkeit in nahezu allen Lebensbereichen eine wichtige Rolle. Für einige dieser Bereiche ist sie sogar zur Priorität geworden. Es geht grundsätzlich darum, sein eigenes Handeln bewusst ökologisch und auch ökonomisch zu gestalten, damit die Menge an Emissionen verringert werden kann und stattdessen vermehrt natürliche Ressourcen eingesetzt werden. Durch die gestiegenen Energie- und Rohstoffkosten ist eine nachhaltige Orientierung ebenfalls für viele Unternehmen interessanter geworden. Auch die Kund:innen zahlreicher Handwerksbetriebe legen viel Wert auf Nachhaltigkeit, was es zu einem Erfolgsfaktor für Unternehmen macht. Besonders in der Produktion können Handwerker:innen einiges bewirken. Der Einsatz von Ressourcen, aber auch der eigentliche Ablauf der Produktionsprozesse sind entscheidend. Dafür können recyclebare Materialien beschafft und effizient verbraucht werden. Insbesondere die Energienutzung kann verringert werden, wodurch sich zudem noch ein Kostenvorteil ergibt. Stattdessen können die Betriebe auf neue Antriebstechnologien oder Stromspeicher zurückgreifen, die die Herstellung innovativer gestalten. Im Grunde sind Handwerker:innen schon ein gutes Beispiel für nachhaltige Arbeit. Sie reparieren Gegenstände, sodass deren Nutzung verlängert werden kann, was die Tätigkeit somit schon sehr ressourcenschonend macht. In den kommenden Jahren ist es dennoch wichtig, diesen Fokus beizubehalten und auf eine effiziente Produktion zu achten.

Personelle Entwicklungen im Handwerk

Schon seit Beginn der Handwerksarbeit hat sich ein spezielles Bild von Handwerker:innen entwickelt. Die meisten Menschen stellen sich darunter eine männliche Person im Blaumann vor, die heutzutage jedoch schon eher veraltet ist. Auch als Handwerker:in kann man erfolgreich sein und in den letzten Jahren hat es dahingehend auch bereits ein paar Veränderungen gegeben. Mittlerweile gibt es auch einige Frauen, die als Handwerkerin tätig sind, was auch mit der zunehmenden Emanzipation und Gleichberechtigung zusammenhängt. Für die Arbeitgeber:innen ist es jedoch eine schwierige Aufgabe, unter den Bedingungen des “War of Talents” qualifizierte und motivierte Mitarbeiter:innen zu finden. Unternehmen sind einem hohen Wettbewerb ausgesetzt und müssen dementsprechend die Attraktivität ihres Betriebes erhöhen, um ein gutes Team zu finden. Dafür ist es wichtig, die Werte und Bedürfnisse der Gesellschaft zu kennen. Diese können sich allerdings in verschiedenen Generationen unterscheiden. Die wohl am meisten anzutreffenden Generationen auf dem Arbeitsmarkt sind die Generationen Y und Z. In unserem Ratgeber zum Wertewandel können Sie intensiv nachlesen, wodurch sich diese Generationen charakterisieren. Grundsätzlich spielt jedoch nicht nur das Gehalt eine Rolle. Auch das Team, die Verantwortung und die Freizeitgestaltung beziehungsweise Vereinbarkeit mit dem Familienleben sind relevant. Deshalb sollten die Betriebe einen Fokus auf das Personalmanagement legen und auch mit den aktuellen Gegebenheiten arbeiten. Zum Beispiel ermöglicht die Digitalisierung auch für Personalthemen einige Strategien. So können beispielsweise Influencer genutzt werden, um ein positiveres Bild von Handwerksberufen auf dem Arbeitsmarkt zu vermitteln. Oder auch die Erstellung einer eigenen Website stellt einen wichtigen Schritt dar, um die Arbeitgeberattraktivität zu erhöhen. Wenn es diese Optionen gibt – wieso sollte man sie nicht zu seinem Vorteil nutzen? Das wird zukünftig die Aufgabe der Handwerksbetriebe sein.

Die Kundengewinnung der Zukunft

Neben dem Fokus auf die Mitarbeiter:innen ist es für Handwerksbetriebe jedoch mindestens genauso wichtig, sich auf die Kundengewinnung zu konzentrieren. Die Interessen und Bedürfnisse der Kund:innen haben sich mit den Jahren sehr gewandelt. Immer mehr Menschen nutzen das Internet, um gute Handwerksunternehmen zu finden. Eine eigene Website oder Social-Media-Kanäle könnten somit zum Beispiel eine gute Strategie darstellen, um die Vorteile der Digitalisierung zu nutzen. Dadurch kann den potentiellen Kund:innen ein guter Überblick über die angebotenen Leistungen vermittelt werden. Das kann schnell einen positiven Eindruck hinterlassen und dazu beitragen, dass die Besucher:innen der Website Ihren Betrieb stärker in Erinnerung behalten. Außerdem ist die Erstellung einer Website oftmals mit wenig Kosten und Aufwand möglich. Viele Kund:innen haben heutzutage auch einen höheren Beratungsbedarf. In einigen Branchen wird das Internet genutzt, um individuell auf die Fragen und Probleme von Interessent:innen einzugehen. Das führt dazu, dass die Erwartungen daran in nahezu allen Lebensbereichen steigen. Unternehmen stehen demnach vor der Aufgabe, einen guten Mittelweg zwischen der digitalen Darstellung beziehungsweise Beratung und der traditionellen Marketingstrategie im Handwerk zu finden.

Gefahr der Entwicklung zur Zweiklassen-Gesellschaft

Nimmt die aktuelle Entwicklung weiter ihren Lauf, führt das zu einer Zweiklassen-Gesellschaft im Handwerk – auf der einen Seite die Betriebe, die im Baumarkt einkaufen gehen, preisgünstige und gleichzeitig gering qualifizierte Arbeiter einsetzen, um nur einfache Arbeiten auszuführen. Auf der anderen Seite, jene Betriebe, die Fachkompetenzen, Kreativität und lösungsorientierte Leistungen anbieten. Um diese Gruppe zu unterstützen, müssen Hersteller und Handel mitarbeiten. So müssen die Hersteller sicherstellen, dass sie wieder mehr Spezialprodukte und Innovationen anbieten. Auch das Fachpersonal im Handel muss über fundiertes Fachwissen verfügen, um Handwerksbetriebe optimal beraten zu können. Immer weniger Verkäufer:innen können dieses Praxiswissen aufweisen.

Fazit: Handwerk 2.0 ist da

Ein Blick auf den derzeitigen Wandel in der Gesellschaft zeigt schnell, dass Handeln erforderlich ist – auch für die Zukunft der Handwerksbranche. Die zunehmende Digitalisierung stellt Unternehmen vor große Herausforderungen, die jedoch auch mit neuen Möglichkeiten einhergehen. Arbeitgeber:innen sollten diese Möglichkeiten erkennen und für sich nutzen, um somit die Attraktivität ihres Betriebes zu erhöhen. Besonders im Handwerksbereich besteht noch ein großer Handlungsbedarf. Egal, ob in der Mitarbeitersuche oder in der Kundengewinnung: Die neuen digitalen Möglichkeiten können eine enorme Hilfe sein, um die eigene Präsenz des Betriebes zu erhöhen. Eine eigene Homepage, Social Media Kanäle und die Einbindung von Influencern sind Erfolg versprechend. Dennoch ist es auch wichtig, seitens der Politik, bereits in der Schule über solche Berufe zu informieren. Dabei sollten junge Menschen nicht nur lernen, dass sie nach der Schule studieren müssen. Auch die Handwerksberufe sollten vorgestellt werden, denn schließlich ist die Nachfrage nach Handwerksleistungen hoch. Die Betriebe müssen sich im Wettbewerb mit anderen Branchen stark positionieren, um langfristig erfolgreich zu sein und den Trends im Handwerk zu folgen. Dazu gehört es, sich den Veränderungen durch Digitalisierung und Nachhaltigkeit anzupassen.

Abonnieren Sie jetzt den ibau Newsletter!

Ähnliche Artikel

23.02.2024 09:59 | Hannah Simons Veröffentlicht in: Wissenswertes
Man findet sie auf YouTube, Instagram und TikTok – Die Baufluencer. Also Influencer, die sich mit dem Bau und baunahen Themen auseinandersetzen. Aber wer sind diese Leute? Und sind sie eine Gefahr oder vielleicht eher eine Chance für das klassische Handwerk? [...]
30.01.2024 11:43 | Iris Jansen Veröffentlicht in: Wissenswertes
Gefahrstoffe bergen Risiken für Mensch und Umwelt. Deswegen ist es wichtig, dass verantwortungsvoll mit ihnen umgegangen wird. Kommt es trotz fachgerechter Anwendung zu einem Unfall muss das Unternehmen für die Folgen haften. Insbesondere bei kleinen und mittleren Bet [...]
22.08.2023 12:09 | Iris Jansen Veröffentlicht in: Wissenswertes
2022 gab es insgesamt weniger Arbeitsunfälle in der Bauwirtschaft, im Vergleich zu den Vorjahren. Dennoch stirbt durchschnittlich rund alle dreieinhalb Tage eine Person auf der Baustelle. Eine erschreckende Tatsache, die angegangen werden muss. [...]
19.05.2023 11:11 | Hannah Simons Veröffentlicht in: Wissenswertes
Schwere Zementsäcke oder Fliesen durch die Gegend tragen und den ganzen Tag in Gebückter Haltung den Sockel streichen. Es überrascht nicht, dass Arbeitnehmer:innen am Bau besonders unter Rückenschmerzen leiden. Erfahren Sie, wie Rückenschmerzen vorgebeugt werden ka [...]
25.12.2019 10:35 | Jacqueline Segeth Veröffentlicht in: Wissenswertes
Ein Geilenkirchener Handwerksbetrieb setzt seit dem Sommer einen Traum vieler Arbeitnehmer:innen um: eine 4-Tage-Arbeitswoche. Aber wie gut funktioniert dieses Modell? [...]
19.03.2024 13:20 | Iris Jansen Veröffentlicht in: Wissenswertes
Bisher galt ein Gebäude als umweltfreundlich, das der Umwelt möglichst wenig schadet. Doch dieses Denken könnte bald überholt sein. Das Cradle-to-Cradle-Prinzip möchte mehr: Ein Haus soll nicht nur nicht schaden, sondern einen Mehrwert für die Umwelt bieten – un [...]
Lorena Lawniczak

Als Redakteurin bei ibau kümmert sich Lorena Lawniczak um die Erstellung von qualitativem Content für unsere Leser:innen. Sie beschäftigt sich speziell mit Themen zur Leadgenerierung und Sales und verfasst hilfreiche Ratgeber für Unternehmen. Neben diesen Themen setzt sie sich intensiv mit dem Vergaberecht auseinander und schreibt Glossarartikel zu Begriffen rund um Ausschreibungen und Vergaben. Durch ihr Studium der Betriebswirtschaftslehre hat sie außerdem großes Interesse an digitalen Bereichen, wie dem Online-Marketing.